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Von Tischhupen und Bläsdäbumsdas 15.05.2013 Mal ehrlich, in Synthesizerkreisen zu erzählen, man besäße neben einem CS80 auch noch eine orange-weiß-farbene Plastik-Bontempi Hitorgan mit eingebautem Fön und echtem Gebläseattack, dann ist das so, als wenn man beim Ferrari-Treffen mit einer quietschgelben Ente 2CV anrückt. Trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Gründen, solchen Kinderspielzeugen einen angemessenen Standort direkt zwischen den Boliden einzuräumen. Die original Hohner Organa 11 „Bläsdäbumsda“ im edlen Echtholz - passend zu Opas Schrankwand Eines meiner ersten Tasteninstrumente war eine Hohner Organa, die ich in der Bucht der Buchten für einen Euro ergattern konnte, den mir der Pfarrer vor Ort um Himmelswillen nicht abknöpfen wollte. Er freute sich, dass das Instrument in gute Hände kommen und bei mir einen gesegneten Lebensabend erhalten würde. Und erst gerade zuhause angekommen, spielten diese guten Hände dann auf Teufel-komm-raus „Sympathy For The Devil“ auf den heiligen Tasten. Vermutlich erklangen jetzt nach vierzig Jahren Kirchenmusik zum ersten Mal die schwarzen Tasten. Für den Ray Manzarek von morgen - Die Bontempi Junior Und der Klang war göttlich. Dieser schmusige Akkordeon-Sound, diese tiefen, warmen Bässe und die nasalen hohen Frequenzen. Mit dem Klang assoziiere ich Edith Piaf, Marlene Dietrich oder Hans Albers. Ob melancholische Seemannslieder, französischer Chanson oder feuriger Tango: die Gebläseorgel kann nicht viel aber was sie kann, das kann sie richtig gut. Ja, die Gebläseorgel ist wahrlich ein ehrliches, einfaches und organisch klingendes Instrument. Den Namen „Organa“ hatte Hohner für meine Gebläseorgel jedenfalls gut gewählt, obwohl man in Trossingen wohl eher eine Nähe zur Orgel damit erzeugen wollte. Egal, wenn wir Tastronauten untereinander sprechen, dann reden wir immer von der „Bläsdäbumsda“. Das Prinzip ist einfach. Die Gebläseorgel ist ein Kasten mit Tasten und einem Gebläse, das die Puste des Mundharmonikaspielers oder das Quetschen des Akkordeonisten ersetzt. Mit der Luft werden dann - eben wie beim Akkordeon Klangzungen in Schwingungen gebracht. Am ehesten klingen Gebläseorgeln wie ein Akkordeon oder Bandoneon. Das unentwegte Geräusch des elektrisch betriebenen Gebläses ist dabei ebenso charakteristisch, wie unvermeidbar. Aufnahmen funktionieren am besten direkt hinter dem Luftauslass, weil dann der Klang noch druckvoll genug ist, um das Ventilatorgeräusch ein wenig zu übertönen oder ein paar Meter entfernt, weil sich dann das Gebläse mit dem Raumhall vermischt. Maximal drei Fußlagen haben meine Hohner Gebläseorgeln. Viele andere Hersteller beschränkten sich auf eine einzige Tonlage und zwei Oktaven spendierten dem Gerät dafür aber oft noch einen Clou: die Single-Finger-Akkord-Funktion. Wow. Aber beim Spielen macht es trotzdem Spaß, einfach mal, wie beim Akkordeon, einen Akkord vorzugeben und dazu mit der rechten Hand ein Solo zu spielen. Dazu kann man bei manchen Modellen noch mit einem Kniehebel die Lautstärke beeinflussen - ein Prinzip, das es übrigens auch bei der Clavioline und bei manchen Orgelmodellen gibt. Knie nach rechts, „Fön“ bläst stärker, Ton wird lauter. Die Bontempi Hitorgan - Den Einstieg bei Emerson, Lake and Palmer immer fest im Blick. Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre kamen dann immer mehr Hersteller auf die Idee, die Gebläseorgel in billiges, buntes Plastik zu verkleiden und als Spielzeug über die Ladentheken wandern zu lassen. Wie oft mögen diese kleinen Quietschkistchen unterm Weihnachtsbaum gelegen haben, wie viele Kinderaugen haben sie zum Leuchten gebracht, wie viele Eltern glaubten, mit dem Kauf einer orangefarbenen Bontempi-Orgel den Grundstein zu späterem Pianisten-Ruhm ihres Kindes verholfen zu haben und wie oft wanderten die Bläsdäbumsdas dann ganz schnell auf den Dachboden, weil das Kind gnadenlos unbegabt war und das andauernde Rumgebläse die Eltern oder Nachbarn in den Wahnsinn getrieben hatte? Gediegenheit goes Plastic: die Magnus Organ - Quasi das Grand Piano unter den Tischhupen Glücklicherweise wanderten nicht alle auf den Müll. Denn man könnte das Fragespiel noch weiter spielen: Wie vielen Erwachsenen geht heute ein heiliger Schauer über den Rücken, wenn sie jetzt nach vielen Jahren plötzlich wieder den Klang hören, der sie an glückliche Kindertage oder auch an quälende Fingerübungen erinnert? Auch ein Tasteninstrument für Kinderhände: Das Glockenpiano mit Spieluhrensound - Eingesetzt von John Cage („Suite for Toy Piano“) und von Yann Tiersen („Fabelhafte Welt der Amelie“) Aber es ist nicht nur Melancholie und Schwelgen in Kindheitserinnerungen, was uns dazu bewegt, heute wieder Bläsdäbumsda einzusetzen. Sie sind vielmehr die klanglichen I-Tüpfelchen, die sich herzerfrischend in die Welt der großen, mächtigen und erhabenen Synthesizer-Bolliden einschmiegen. Sie sind der Zitronenspritzer, der dem Gericht das gewisse etwas geben und sie erinnern uns immer wieder daran, dass sich gute Tasten-Musik nicht durch Gebrauchtpreise für Synthesizer oder durch die technische Meisterleistung der Schöpfer definiert. Gute Musik heißt, dass man den richtigen Sound zur richtigen Zeit einsetzt, dass man Kontraste schafft und nicht zuletzt, dass man bei all dem den Humor und die Selbstironie nicht vernachlässigt. God save the Bläsdäbumsda! Und hier ein kleines Video mit Sounddemo von der Hohner Organa 11. Mehr Sounddemos findet ihr unter Tasten und dann unter den jeweiligen Hersteller- und Modellnamen. Viel Spaß! |
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Letzte Änderung: 14.11.2024 10:49:25 |
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